Veranstaltung: | DBJR-Hauptausschuss 01/2024 |
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Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Hauptausschuss |
Beschlossen am: | 31.01.2024 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Umsetzung des Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) in den Bundesländern
Beschlusstext
Antrag an die DBJR VV
Ganztagsförderung kindgerecht und gemeinsam mit der Jugendarbeit umsetzen!
Das Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter (GaFöG) wird
ab dem Schuljahr 2026/2027 schrittweise umgesetzt werden. Auch wenn die
grundlegenden Rahmenbedingungen des Rechtsanspruchs auf bundesgesetzlicher Ebene
im SGB VIII definiert sind, so obliegt nach Art.83 GG den Bundesländern die
Ausführungskompetenz und sie sind aufgefordert, entsprechende Regelungen zu
erlassen. Sowohl der Stand des Ausbaus an “Ganztagskapazitäten” als auch die
angebotenen “Ganztagsformen” sind in den verschiedenen Bundesländern sehr
heterogen. Dennoch gibt es aus der Sicht der Jugendarbeit zentrale Aspekte, die
unabhängig davon sowohl von den Landesgesetzgebern als auch von den
verantwortlichen örtlich öffentlichen Trägern angemessen zu berücksichtigen
sind.
- Ganztag muss aus der Perspektive der Kinder gedacht und geplant werden
Bereits in der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass die inhaltliche
Ausgestaltung der Ganztagesangebote nicht allein die Betreuung der Kinder zum
Ziel haben kann. Als wichtige gesellschaftspolitische Ziele sind an dieser
Stelle benannt: „Die Förderung der Entwicklung und Erziehung von Kindern zu
eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten, die Förderung
der Teilhabe von Kindern, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie der
gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern am Erwerbsleben.“ Der Ganztag
muss daher zunächst aus der Perspektive der Kinder gedacht und nach deren
Bedarfen gestaltet werden.
Der Ganztag muss Kindern genügend Freiräume zur selbstbestimmten Nutzung und
Ausgestaltung bieten, damit sie u. a. Freundschaften schließen und pflegen
können. Für Kinder ist Schule ein wichtiger sozialer Ort, an dem sie mit
Gleichaltrigen zusammenkommen und Beziehungen aufbauen können. Schule dient auch
als Ausgangspunkt für Aktivitäten, Kontakte und Engagement außerhalb der
Schulzeiten. Ob sich Kinder wohlfühlen, ist aus ihrer Sicht deshalb stark davon
abhängig, ob sie genügend Zeit und Raum für eigene Bedürfnisse und Interessen
zur Verfügung haben. Selbstbestimmte, freie Zeiten und Räume, ergänzend zu
Unterricht und Betreuung und während der Schulferien, die auch Kontakte zu
Kindern außerhalb der eigenen Klassen- und Schulgemeinschaft ermöglichen, sind
ein wesentlicher Raum für Kinder und stärken deren Resilienz.
Pädagogische Angebote unterstützen die Selbstbestimmung der Kinder, wecken und
fördern deren Kreativität und bieten auch Gelegenheiten, zur Ruhe zu kommen.
Hierzu braucht es zeitliche und räumliche Voraussetzungen sowie Fachkräfte, die
einschätzen können, wann Begleitung und wann Anleitung angemessen sind.
Ganztagsangebote müssen pädagogisch organisierte Freiräume und Freizeitangebote
vorsehen. Dies bedeutet auch spielerische, musikalische, künstlerische und
sportliche Angebote nicht nur in Innenräumen vorzuhalten, sondern auch den
Außenbereich sowie andere außerschulische Orte und den Sozialraum mit
einzubeziehen.
- Ganztag muss als Verantwortungsgemeinschaft im Sozialraum gestaltet werden
Der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe für die zukunftsorientierte Bildung,
Betreuung und Erziehung von Kindern in den Grundschulen müssen sich Schule und
Jugendhilfe gemeinsam mit allen beteiligten Akteuren in einer
Verantwortungsgemeinschaft stellen. Außerschulische Räume sind für den Ganztag
zu nutzen, Eltern werden eingebunden und die Akteure der Jugendhilfe,
insbesondere auch der Jugendarbeit, werden bereits in den Planungen mit
einbezogen. Hierzu braucht es geeignete und institutionalisierte Formen der
Zusammenarbeit vor Ort.
- Ganztag braucht einen klaren Qualitätsrahmen
Der Bundesgesetzgeber hat bislang darauf verzichtet, Qualitätskriterien für die
ganztägige Bildung, Betreuung und Erziehung zu formulieren. Die Verankerung des
GaFöG im SGB VIII hat jedoch zur Folge, dass die Grundprinzipien des SGB VIII
(Schutz und Beteiligung von Kindern) zu beachten sind. Um gleichwertige
Lebensverhältnisse in Deutschland sicher zu stellen, braucht es einen von den
Kultus- und Jugendminister*innen der Länder verantworteten Qualitätsrahmen, der
die Prozess- und Strukturqualität von Ganztagsangeboten in den Bick nimmt. Die
darin definierten (Mindest-)Standards müssen sich im Wesentlichen an den
Standards der Jugendhilfe orientieren und nicht an denen der Schule. Zur
Sicherstellung der Qualitätsstandards müssen entsprechende Ressourcen
bereitgestellt werden.
- Ganztag muss Kinderrechte vollumfänglich umsetzen
Als Grundrechtsträger haben Kinder Beteiligungs-, Schutz- und Förderrechte, die
konsequent umgesetzt werden müssen. Die Kinder müssen an der konkreten
Ausgestaltung der Ganztagsentwicklung angemessen beteiligt werden und so die sie
betreffenden Entscheidungen mitgestalten können. Ein Ganztagsangebot sollte so
flexibel organisiert sein, dass alle Kinder gleichberechtigt daran teilhaben
können und entsprechend ihrer individuellen Fähigkeiten, Fertigkeiten und
Bedürfnisse gefördert und unterstützt werden. Bedarfsgerechte vielfältige
Ganztagsangebote gehen auf das ein, was Kinder für ihre gleichberechtigte
Teilhabe benötigen. Sie bieten Freiräume und alltagsintegrierte Mitbestimmung.
- Ganztag muss im Sinne gleichberechtigter Teilhabe gestaltet werden
Ein flächendeckendes, bedarfsgerechtes Ganztagsangebot kann ein wichtiger
Schritt sein, um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in der
Bundesrepublik in diesem Bereich zu verbessern. Kinder leben heute in sehr
unterschiedlichen sozialen Lebenslagen. Daraus ergeben sich sehr
unterschiedliche Anforderungen an gleichberechtigte inklusive Bedingungen des
Aufwachsens in (außer-)schulischen Angeboten. Kinder haben pädagogische Bedarfe,
die partizipativ mit ihnen und ihren Eltern in außerunterrichtlichen und
außerschulischen Angeboten erschlossen werden müssen. Hierfür braucht es
pädagogisch sinnvolle und inklusive Räume und Ausstattung von
Ganztagseinrichtungen sowie ein gesundes und kostenfreies Mittagessen für alle
Kinder. Kooperationspartner müssen so unterstützt werden, dass sie Angebote ohne
Zusatzkosten für die Eltern anbieten können.
- Ganztag braucht (nicht nur) pädagogische Fachkräfte
Das im GaFöG verankerte Fachkräftegebot ist sinnvoll. Dennoch kann und soll
Ganztag nicht nur von Fachkräften gestaltet werden. Angebote von
außerschulischen Partner*innen müssen auch von qualifizierten Menschen im
Ehrenamt oder Nebenberuf mitgestaltet werden können. Damit aus Kindersicht
stabile Beziehungen entstehen können, braucht es sowohl verlässliche Lehrkräfte
als auch verlässliche außerschulische Fachkräfte und Expert:innen der
Jugendhilfe/Jugendarbeit. Durch vielfältige Lebensrealitäten und
unterschiedliche didaktische Herangehensweisen der Mitarbeiter*innen werden
Kindern vielfältige und wertvolle Möglichkeiten zu Anknüpfung, Repräsentation
und Identifikation geboten.
- Ganztagsförderung ist nicht Ganztagsschule
Die Chance des Ganztags liegt im Zusammenspiel von formaler und non-formaler
Bildung; die Verortung im SGB VIII ist ernstzunehmen. Formales, non-formales und
informelles Lernen werden als gleichwertig angesehen und bilden einen
ganzheitlichen Bildungsansatz. Hierzu braucht es die Kooperation von Lehrkräften
und Fachkräften der Jugendhilfe, die auf Augenhöhe agieren. Den
Grundschulkindern müssen Räume und Freiräume zur Persönlichkeitsentwicklung und
zur Identitätsbildung zur Verfügung gestellt werden. Auf individuelle
Unterschiede und besondere benachteiligende Faktoren sollte ausgleichend
eingegangen werden. Hier braucht es gute, zum Teil individuelle Förderkonzepte,
um individuelle Bildungserfolge zu ermöglichen. Alle Kinder sollen gleichermaßen
an Freizeit- und Bildungsangeboten inklusive Kultur-, Musik- Sportangeboten
teilhaben können, die im Rahmen des Ganztags angeboten werden. Inklusive und
erzieherische Hilfsangebote sollen dabei im Ganztag integriert angeboten werden.
- Die Ferien gehören der Jugendarbeit
In den Ferien müssen die Jugenderholungsangebote von Jugendverbänden und
Jugendringen die selbstverständliche Form der Ganztagsförderung sein. Dazu
brauchen Jugendverbände und Jugendringe eine angemessene finanzielle
Ausstattung. Es darf keine (weitere) Konkurrenz z.B. durch kommerzielle Anbieter
aufgebaut werden. Im Zuge der Umsetzung des GaFöG dürfen Ferienangebote nicht zu
schulischen Veranstaltungen werden. Der Charakter der Ferien als schulfreie Zeit
und das Recht der Kinder auf Spiel, Spaß und Abenteuer müssen bei deren
Gestaltung im Vordergrund stehen. Ferienangebote sind als außerschulische
Angebote vielfältig und ausreichend, also bedarfsgerecht zur Verfügung zu
stellen bzw. auszubauen und in die Umsetzung der Ganztagskonzepte vor Ort zu
integrieren.
- Ganztag betrifft die Jugendarbeit in verschiedenen Dimensionen
Die Einführung eines Rechtsanspruchs ist eine Maßnahme, die Wirkung auf die
Akteur*innen der Jugendarbeit in allen Bundesländern entfalten wird - unabhängig
davon, ob sie sich als Kooperationspartner im Ganztag engagieren werden. Wenn
mehr Kinder die Nachmittage in der Schule verbringen und auch die Ferien
zunehmend betroffen sind, dann besteht die Gefahr, dass dies zu Lasten der
klassischen Angebote der Jugendarbeit geht. Ganztagsangebote müssen daher so
gestaltet werden, dass es für die Eltern flexible Buchungsmöglichkeiten gibt,
damit die Kinder auch weiterhin die Möglichkeit haben, an Angeboten der
Jugendarbeit wie z.B. Gruppenstunden, Sporttrainings, Orchester- und Chorproben
oder Ferienfreizeiten teilzunehmen. Die Teilnahme daran muss im Rahmen der
Anspruchserfüllung also ermöglicht und ebenso wie die Koordination dieser
vielfältigen Angebote im Rahmen der Ganztagesbetreuung gefördert werden.
Weiterhin wird viel Geld für den Ausbau von Ganztagsangeboten investiert werden
müssen, was sich auf die Ausstattung von Jugendarbeit vor Ort auswirken kann.
Die Finanzierung der Ganztagsbildung darf nicht auf Kosten der ohnehin
unterfinanzierten Jugendarbeit passieren. Jugendarbeit muss als eigenständiger
Bildungsbereich anerkannt und auskömmlich finanziert werden, um sowohl ihre
Kernaufgaben als auch die Aufgaben als Kooperationspartner in der
Ganztagsförderung umsetzen zu können.
Durch den zunehmenden Ganztag werden die Sozialisationsorte von Kindern
zunehmend institutionalisiert, obwohl viel dafürspricht, dass für die
Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unstrukturierte und unverzweckte Räume
wichtig sind.
Um das Recht von Kindern auf Freiräume und freie Zeiten zu gewährleisten,
fordern die Jugendverbände und Jugendringe daher:
- Alle Prinzipien (z.B. inklusive Ausrichtung) der Kinder- und Jugendhilfe sind
im Rahmen der Ganztagsförderung einzuhalten. Daher muss auch die Beratungs- und
Entscheidungskompetenz zu grundsätzlichen Fragen beim Jugendhilfeausschuss
liegen.
- Neben den Kooperationsangeboten, die durch Träger von Ganztagsförderung
gestaltet werden, müssen (weiterhin) Angebote Dritter, z.B. von Jugendverbänden,
möglich und dafür Finanzierungsmöglichkeiten vorhanden sein. Dies muss in den
entsprechenden Ausführungsgesetzen der Länder und den Beschlüssen der Kommunen
verankert werden.
- Angebote der Kinder- und Jugendarbeit außerhalb des Ganztags müssen
weiter gefördert werden, u.a. um das im SGB VIII verankerte Wunsch- und
Wahlrecht von Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen.
- Die Finanzierung des Rechtsanspruches darf nicht zu Lasten der Angebote der
Kinder- und Jugendarbeit gehen.
- Auch im Rahmen von Ganztagsbildung müssen Ferien Zeiträume der Jugendarbeit
bleiben, in denen Erholung und das Recht auf Spiel, Spaß und Abenteuer an Orten
außerhalb der Schule gewährleistet bleibt.
- Vor dem Hintergrund der „Empfehlungen zur Weiterentwicklung der pädagogischen
Qualität der Ganztagsschule und weiterer ganztägiger Bildungs- und
Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter“, die die
Kultusministerkonferenz am 12.10.2023 beschlossen hat, braucht es eine zwingende
Zusammenarbeit von Kultusministerien und Jugendministerien sowie von Schule und
Kinder- und Jugendhilfe bei der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen der
Ganztagsförderung.
Begründung
Zweck des Entwurfs einer Positionierung durch den DBJR:
- den Landesjugendringen, den kommunalen Jugendringen und den lokalen Gliederungen der Jugendverbände den Rücken stärken in den Verhandlungen vor Ort
- die Bedeutung der Ganztagsbetreuung/ des GaFöG für die Jugendarbeit hervorheben auf Bundesebene
Links zu Positionspapieren der Landesjugendringe und von jugendpolitischen Akteuren der Bundesebene
Bayern
Baden-Württemberg
Hessen
- Appell "Für einen kindgerechten Ganztag in Hessen", Juni 2026: https://kindgerechter-ganztag.de/
- Positionspapier des Hessischen Jugendrings "Kindgerechte Ganztagsbildung – eine gemeinsame Herausforderung von Kinder- und Jugendhilfe und Schule", September 2022: https://www.hessischer-jugendring.de/fileadmin/user_upload/pdf/Positionspapiere/hjr_Positionspapi--er_Kindgerechter-Ganztag_2022.pdf
- Kurzfassung als Thesenpapier, September 2022: https://www.hessischer-jugendring.de/fileadmin/user_upload/pdf/Positionspapiere/hjr_Thesenpapier_--Kindgerechter-Ganztag_2022.pdf
Mecklenburg-Vorpommern
Rheinland-Pfalz
Positionen DBJR:
AGJ:
(Auf gute Zusammenarbeit in der Ganztagsbildung, 27.09.2022)
- Positionspapier der AGJ "Kind- und jugendgerechte Ganztagsbildung", Dezember 2019: https://www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2019/Ganztagsbildung.pdf
- Zwischenruf der AGJ "Guter Ganztag?! Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im
Grundschulalter mit Qualität verbinden", August 2020: https://www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2020/AGJ-Zwischenruf_guter-Ganztag.pdf