| Status: | Beschluss |
|---|---|
| Beschluss durch: | 98. Vollversammlung |
| Beschlossen am: | 25.10.2025 |
| Antragshistorie: | Version 3 |
Die Aufgabe der Jugend(verbands)arbeit im Umgang mit rechten Krisendeutungen
Beschlusstext
In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass rechtsextreme und
rechtspopulistische Positionen zunehmend auch bei jungen Menschen Anklang
finden. Die Trendstudie Jugend in Deutschland 2024 attestierte der AfD mit 22 %
Zustimmung die beliebteste Partei bei den 14- bis 29-Jährigen, vor zwei Jahren
lag sie noch bei 9 %. Und auch in der Europawahl lässt sich dieser Trend
ablesen, denn Laut Infratest Dimap lag die AfD bei den 16- bis 24-Jährigen nur
einen Prozentpunkt hinter der Union, laut Forschungsgruppe Wahlen sogar
gleichauf. Aber nicht nur in Ostdeutschland, auch bei den Landtagswahlen 2023
erreichte sie in Bayern 16 % und in Hessen 18 % der Stimmen unter den 18- bis
24-Jährigen. Noch deutlicher zeigt sich die Entwicklung in unserer U18-Wahl.
Neben den Gewinnen in ostdeutschen Bundesländern hat sich auch insgesamt das
Ergebnis der AfD in nur fünf Jahren verdoppelt.
Eine Mehrheit der jungen Menschen wählt demokratisch. Dies haben wir als DBJR in
den Ergebnissen der U18-Wahl auf Bundesebene auch betont. [1] Trotzdem wurde in
vielen Regionen die AfD die stärkste Kraft in dieser Wahl.
Dieser Wahrheit müssen wir ins Auge sehen.
Schon jetzt sind an vielen Orten wachsende Strukturen rechtspopulistischer und
rechtsextremer Jugendgruppen- und Cliquen zu beobachten, die versuchen, durch
Freizeitangebote, Musik oder soziale Medien Anschluss an jugendliche
Lebenswelten zu gewinnen und den schulischen Raum zu dominieren.
Das sind aber keine abstrakten Entwicklungen oder Gefahren, stattdessen
manifestiert sich dies schon längst in Form von offener Gewalt gegen und
konkreten Angriffen auf unsere Strukturen. Angriffe auf Jugendclubs der Falken
in NRW und Brandenburg, Übergriffe auf kirchliche Jugendverbände wie zuletzt die
KJG in Essen oder dem Brandanschlag auf das Projekt "soliRADisch" in Magdeburg
vom Landesjugendwerk der AWO Sachsen-Anhalt sind nur Beispiele und zeigen eine
dramatische Gewaltbereitschaft.
Diese Angriffe richten sich unmittelbar gegen die Jugendverbände und
Landesjugendringe sowie ihre Mitglieder, die das Fundament unserer
demokratischen Gesellschaft bilden.
Diese Entwicklung ist für eine offene Gesellschaft und insbesondere für die
Jugendverbandsarbeit eine zentrale Herausforderung. Jugendverbände [2] und
offene Kinder- und Jugendarbeit [3] stehen zunehmend vor der Aufgabe, mit
Jugendlichen zu arbeiten, die für rechtspopulistische und rechtsextreme
Ideologien empfänglich sind oder bereits Teil entsprechender Kreise sind. Eine
reine Abschottung reicht nicht aus. Es braucht viel mehr eine aufgeklärte
politische Perspektive, um politische Bildung gestalten und pädagogische
Konzepte entwickeln zu können, die dieser Entwicklung angemessen begegnen. Dafür
starten wir als DBJR und seine Mitgliedsverbände einen Prozess, der unsere
Analysen verbinden und Praktiken qualifizieren soll.
Wir sehen die Wechselwirkungen von Wirtschaftskrisen, dem schwindenden Vertrauen
in die Erzählung von “Aufstieg durch Leistung”, antidemokratischen Strömungen
und sozialer Ungleichheit. Diese Faktoren formen die Lebenswelt junger Menschen.
Diese komplexe Situation verlangt nach differenzierten Lösungsansätzen.
Daher prüfen wir, wie wir Schutzräume sichern und zugleich konfliktfähige
Auseinandersetzung ermöglichen; wie wir mit Jugendlichen, die empfänglich für
rechtspopulistische und rechtsextreme Ideologien sind, distanziert [4] arbeiten
können - und dies ohne unsere Grundsätze zu relativieren; wie wir
Raumungleichheiten politisch begleiten, bei Möglichkeit ausgleichen können und
wie wir verhindern, dass „Brandmauer“-Rhetorik inhaltlich nach rechts kippt..
Jetzt müssen wir beginnen, uns tiefergehend damit auseinanderzusetzen
Deshalb fordern Wir:
1. Stärkung der sozialen Infrastruktur und öffentlichen Daseinsvorsorge
Der DBJR fordert Bund, Länder und Kommunen auf, den Erhalt und Ausbau
öffentlicher Daseinsvorsorge insbesondere in ländlichen und strukturschwachen
Räumen sicherzustellen. Dazu gehören insbesondere Mobilität, Gesundheit, Bildung
und Jugendarbeit.
Inklusive Freiräume für junge Menschen: Konkrete Freiräume für junge Menschen
sind Grundvoraussetzung non-formaler Bildung und demokratischer Teilhabe. Es
braucht in jedem Dorf umnd jedem Stadtteil einen barrierefrei zugänglichen Raum
für junge Menschen, der gewaltfreien Diskurs ermöglicht und bedarfsgerecht
finanziert wird. Dazu gehören bezahlbare Vereins- und Veranstaltungsräume,
konsumfreie Aufenthaltsorte auch in der Innenstadt sowie Öffnungszeiten von
Angeboten, die echte freie Zeit ermöglichen. Teil davon ist, dass mögliche
Konflikte mit diesen Räumen mit jungen Menschen partizipativ ausgehandelt statt
repressiv sanktioniert werden. Freiräume heißt nicht, junge Menschen alleine
lassen. "Die gleichberechtigte Teilhabe ist gerade in der Kinder und
Jugendphase von besonderer Bedeutung [...]. Im gemeinsamen Erleben wird
frühzeitig ein Verständnis für Vielfalt entwickelt" (Broschüre zur Inklusion in
der Jugendarbeit, DBJR/Lebenshilfe, 2021).
Bundesstützen für schwache Regionen: Der DBJR fordert, dass der Bund gezielt
regionale Programme auflegt, um Jugendverbände in ländlichen oder
strukturschwachen Regionen zu stärken. Diese Programme sollen
Innovationsprojekte ermöglichen, die Jugendverbände, Wissenschaft und
Sozialplanung miteinander vernetzen. Erfolgreiche Ansätze müssen nach Evaluation
in dauerhafte Strukturen (mit Ländern und Kommunen abgestimmt) überführt werden.
Subsidiaritätsprinzip stärken: Der DBJR fordert eine tatsächliche und spürbare
bedarfsgerechte und dynamisierte Erhöhung der Mittel im Kinder- und Jugendplan
des Bundes (KJP). Zudem soll der Bund die Förderlogik auf dauerhafte
Grundförderung ausrichten. Vergabe- und Einkaufspraktiken in der Jugendarbeit
schwächen die Selbstorganisation und müssen zurückgeführt werden. Staatliche
Parallelstrukturen sind zu vermeiden. Siehe auch DBJR Position „Jugendarbeit
stärken“ (2019)
Mobilität als Daseinsvorsorge: Um Teilhabe an Jugendarbeit zu sichern, fordert
der DBJR eine jugendgerechte Verkehrswende: die langfristige Schaffung eines
Entgeltlosen ÖPNVS und die kurzfristige Einführung eines bundesweiten
Jugendtickets zum Preis von ≤ 1 €/Tag, Taktverdichtung insbesondere zu
Tagesrandzeiten und in ländlichen Räumen, Mobilitätsbudgets für Jugendverbände
sowie kostenfreien Nah- und Fernverkehr für Freiwilligendienstleistende. Siehe
auch DBJR Position „Mobilitätswende“ (2020)"
2. Pädagogische Leitlinien, Monitoring und Kooperation mit Schule
Der DBJR bekennt sich zu einer Pädagogik, die Schutzräume für alle jungen
Menschen schafft und zugleich eine konfliktfähige Auseinandersetzung mit
demokratiefeindlichen Einstellungen ermöglicht.
Datenbasiert handeln: Der DBJR regt Politik und Wissenschaft über seine Kanäle
dazu an, Datenerhebungen wie die Ländermonitore und qualitative Studien wie z.B.
die ‘Leipziger Autoritarismus Studie’ weiter zu finanzieren und miteinander mit
dem Ziel zu vernetzen, sozialpolitische Erkenntnisse zu autoritären
Einstellungen und rechtsextreme Dynamiken unter Jugendlichen zu gewinnen. Auf
Basis dieser Daten können gezielte Interventionsstrategien und Modellprojekte
entwickelt werden.
Jugendverträglichkeitsprüfung bei Gesetzen: Bei allen Gesetzesvorhaben muss
geprüft werden, wie sie sich auf junge Menschen, die Jugendverbandsarbeit und
non-formale Bildung auswirken. Negative Folgen sind abzumildern. Junge Menschen
müssen selbst die Möglichkeit haben, die Relevanz und die Auswirkungen eines
Gesetzes zu bewerten.
Kooperation mit Schule: Wir fordern, dass Jugendverbände
als gleichberechtigter und eigenständiger Partner in schulische Bildung
einbezogen werden. Dazu gehören curriculare Anknüpfungspunkte für politische
Bildung, Module zur Auseinandersetzung mit autoritären Dynamiken sowie
Fortbildungen für Lehrkräfte. Siehe auch DBJR Position „Demokratie und Schule“
(2022)
3. Qualifizierung und Unterstützung des Ehrenamts
JuLeiCa-Module: Der DBJR fragt bei seinen Mitgliedsverbänden nach bereits
entwickelten Modulen für die JuLeiCa-Ausbildung an, die politische Bildung und
die distanzierte[4] Arbeit mit rechtsaffinen jungen Menschen systematisch
integrieren und die allen zur Verfügung gestellt werden können.
Es reicht nicht nur Haltung, es braucht Analyse: Der DBJR evaluiert, inwiefern
in der kommenden Wahlperiode eine digitale Veranstaltungsreihe in Kooperation
mit Jugendverbänden umsetzbar ist. Ziel sollte sein, politische Bildung zu
stärken und eine analytische Auseinandersetzung mit zentralen gesellschaftlichen
Entwicklungen zu ermöglichen. Die Ergebnisse der Evaluierung und einer möglichen
Veranstaltungsreihe werden systematisch dokumentiert und im Hauptausschuss
ausgewertet.
Da diese Forderungen nur der erste Schritt einer tiefergehenden
Auseinandersetzung sind, beauftragen wir den Vorstand, auf Grundlage der oben
genannten digitalen Veranstaltungen, JuLeiCa-Schulungen und anderer interaktiver
Formate, ein partizipatives Verfahren zu entwickeln, um die notwendigen
Folgerungen für die Satzung sowie die pädagogische und medienpädagogische Arbeit
abzuleiten. Diese Ergebnisse sind innerhalb des nächsten Jahres aufzubereiten
und bei Bedarf als Beschlussvorlagen in die Organe des DBJR einzubringen.
Begründung
Begründung erfolgt mündlich.
